Von Alfred Krupps Generalregulativ bis zum modernen Ideenmanagement: Ein Kulturveränderung über viele hundert Jahre

 


DIE  VORGESCHICHTE


Ideenmanagement baut darauf auf, dass Menschen Ideen entwickeln und auch das Selbstvertrauen haben, diese Ideen dann zu äußern.

Dazu muss die kommunikative Fähigkeit kommen die Ideen zu formulieren und möglichst fachliches Wissen, um sie – zumindest grundlegend – auch einzuschätzen. Das alles ist nicht selbstverständlich, sondern es entwickelt sich in einer Gesellschaft über Generationen. 

Dazu braucht es Voraussetzungen, wie sie in Westeuropa seit etwa 1500 vorlagen.

Entscheidende Voraussetzungen waren dabei:
• mit der Herausbildung der Zünfte ab dem 13. Jahrhundert entstand eine systematisierte Berufsausbildung (Lehrling, Geselle, Meister), in der bereits Eigenverantwortung und „Ehrbarkeit“ – also gute Ideen korrekt umzusetzen – von Bedeutung waren;
• die Besinnung auf die sachliche und systematische Befassung mit der Natur in der Renaissance ab 1450, die zum eigenständigen Weiterdenken anregte;
• der protestantische Eifer das Lesen und Schreiben zu lernen (um die Bibel lesen zu können)
• die in der Reformation ab 1520 gestärkte Eigenverantwortung des Menschen für sein eigenes Leben mit der einhergehenden Leistungsorientierung;
• das seit der Aufklärung ab 1770 verbreitete selbständige kritische Denken: Kant formuliert 1781, es gebe keine Ausrede dafür nicht selber nachzudenken;
• der Einbezug von immer mehr Menschen in Produktionsprozesse in den Manufakturen ab 1800 zusammen mit der Urbanisierung, mit der Folge, dass immer mehr Menschen sich austauschten über Ideen und Prozesse;

In diesem viele Jahrhunderte andauernden Kulturprozess bildeten sich die Grundlagen einer modernen Ideen- und Innovationskultur heraus: Menschen, die beruflich gebildet sind und mit kritisch-kreativ Denken mutig, eigeninitiativ und eigenständig handeln.



DER BEGINN

Im Zeitalter der Industrialisierung entstanden Industriebetriebe, die stark von Arbeitsteilung entlang der Wertschöpfungskette geprägt waren (Taylorismus). Die berufliche Welt wandelte sich dahingehend, dass Menschen in Industriebetrieben meist nur für ein sehr abgegrenztes Aufgabengebiet zuständig waren. Häufig waren sie für diese einfachsten repetitiven Tätigkeiten überqualifiziert.
Es entstand in dieser Zeit eine neue Arbeiterklasse, die dafür kämpfte, in den Betrieben mitgestalten zu dürfen und die für eine Verbesserung ihrer sozialen Situation eintrat. Dies führte zu Veränderungen in den Betrieben. Nicht zufällig entstehen Vorformen des Ideenmanagements etwa gleichzeitig mit der Bildung von Gewerkschaften: Es geht um Teilhabe. In dieser Zeit entwickelten sich erste Formen des Ideenmanagements, wie z. B. bei Merck.

Alfred Krupp, iStockphoto
Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Ideenmanagements erfolgte 1872. Bei Krupp werden die innerbetrieblichen Strukturen neu geregelt. „Krupp erlässt das von ihm entworfene und dann von der Geschäftsleitung überarbeitete "Generalregulativ", das die innerbetriebliche Hierarchie vom Aufseher und Meister bis zur Unternehmensleitung mit den jeweiligen Aufgaben und Funktionen festlegt und das zugleich Bestimmungen über die betrieblichen Sozialeinrichtungen enthält.“ (Quelle: https://www.thyssenkrupp.com/de/unternehmen/historie)


Es werden dadurch Grundlagen für etwas geschaffen, das wir heute Ideenmanagement nennen.

Mitarbeitende erhalten die Möglichkeit sich mit ihren Ideen in das Unternehmen einzubringen. In § 13 des Generalregulativs heißt es:
„Anregungen und Vorschläge zu Verbesserungen, auf solche abzielenden Neuerungen, Erweiterung, Vorstellung über und Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit getroffener Anordnungen, sind aus allen Kreisen der Mitarbeiter dankbar entgegenzunehmen und durch Vermittlung des nächsten Vorgesetzten an das Direktorium zu befördern, damit dieses die Prüfung veranlasse. Eine Abweisung der gemachten Vorschläge, ohne eine vorangehende Prüfung derselben, soll nicht stattfinden, wohingegen denn auch erwartet werden muss, dass eine erfolgte Ablehnung dem Betreffenden, auch wenn ihm ausnahmsweise nicht alle Gründe dafür mitgeteilt werden können, genüge, und ihm keineswegs Grund zu Empfindlichkeit und Beschwerde gebe. Die Wiederaufnahme eines schon abgelehnten Vorschlages unter veränderten tatsächlichen Verhältnissen oder in verbesserter Gestalt ist selbstredend nicht nur zulässig, sondern empfehlenswert.“
(Quelle: Historisches Archiv Krupp, S 2/ FK 6.1/1-1872)

Die Umsetzung des Generalregulativs in der Organisation erfolgte schrittweise. Ende der 1880er Jahre wurde das Ideenmanagement immer mehr zur gelebten Kultur.

Mit der Zeit bilden sich in Deutschland weitere rechtliche Grundlagen heraus, die das Thema „Ideen der Mitarbeitenden“ betreffen, zum Beispiel entstand 1920 das Betriebsrätegesetz (Quelle: 100 Jahre Betriebsrätegesetz: Ein Meilenstein der Sozialpolitik | DGB: https://www.dgb.de/themen/++co++246130b2-7fc7-11ea-8b82-52540088cada), später das Arbeitnehmererfindungsgesetz sowie das Betriebsverfassungsgesetz.

Mit diesen Gesetzen wurden wichtige Regelungen im Zusammenhang der Nutzung von Mitarbeiterideen geschaffen. Leitmotive - wie wir sie heute nennen würden - sind dabei zum Beispiel Diversität, Gleichbehandlung, Transparenz und Wertschätzung.

In einer globalisierten Wirtschaft stellt sich heute auch die Frage, wieweit das Ideenmanagement global eingesetzt werden kann. Seine Geschichte ist eng an westliche Werte geknüpft, und sein erfolgreicher Einsatz weltweit ein zentrales Thema, das vom Deutschen Institut für Ideen- und Innovationsmanagement aktiv gefördert wird.



Eine der wichtigsten Kernkompetenzen der Menschheitsgeschichte: 
Die historische Bedeutung von Ideenmanagement

Das Verständnis von Ideenmanagement hat sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt.
1975 wurde Ideenmanagement noch als die Kombination von Betrieblichem Vorschlagswesen (BVW) und ein Kontinuierlichen Verbesserungsprozessen (KVP) definiert (Prof. Spahl).

Heute ist Ideenmanagement weit mehr!

2022: 150 Jahre nach Krupp wird Ideenmanagement vom Zentrum Ideenmanagement und dem Deutschen Institut für Ideen- und Innovationsmanagement neu definiert und auf die Anforderungen einer Zeit der Digitalisierung, New-Work-Culture und Globalisierung ausgerichtet.

Heute verstehen wir unter Ideenmanagement die Veränderung und Transformation von Organisationen aus eigener Kraft durch eine Kultur der Orientierung am Menschen.

Wichtige Bausteine sind dabei die Beteiligung aller Menschen an der Ideengenerierung, Ideen generieren, Ideen umsetzen sowie eine Kultur der Wertschätzung. 
(Quelle: Erstveröffentlichung in „Ideenmanagement und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" mit Vorwort von Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ durch das Deutsche Institut für Ideen- und Innovationsmanagement (Herausgeber))

Das neue Verständnis verbindet die Industrie- und Wissensgesellschaft, die von Menschen durch Ideen gestaltet wird. Es bildet eine Brücke zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen für eine bessere, lebenswertere Welt.


Für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit auf der Erde wird es entscheidend sein, dass es uns Menschen gelingt, die großen Herausforderungen unserer Zeit intelligent zu lösen.

Der Schlüssel liegt in der Kernkompetenz: IDEEN. GEMEINSAM. ERFOLGREICH. MACHEN,



Autoren:
Prof. Dr. Ulrich Bauer

Prof. Dr. Ulrich Bauer
Professur für Interkulturelle Kommunikation, Hochschule Kempten
Roland Rausch
Geschäftsführer, Deutsches Institut für Ideen- und Innovationsmanagement